Der Zweigkanal – auch Kanal IIIb genannt – hat die Gewässernummer 16.00 und ist ein Nebengewässer der Niers. Er hat eine Gesamtlänge von rund 10 km. Auf der gesamten Länge gilt der Zweigkanal als künstliches Gewässer, das kaum noch natürliche Lebensräume für Pflanzen und Tiere bereithält.
Warum eine Umgestaltung?
Viele Gewässer – so auch der Zweigkanal – wurden in der Vergangenheit begradigt, zur Trockenlegung von landwirtschaftlichen Flächen oder als Abwasserkanäle genutzt. Damit ging ihre natürliche Funktion als Ressource für den Menschen und Lebensraum für Tiere und Pflanzen im Wesentlichen verloren. Die Gewässer in Europa sollen auch für die nachfolgenden Generationen nutzbar sein und wieder Heimat ihrer ursprünglichen Tier- und Pflanzenwelt werden, denn:
Wasser ist keine übliche und unbeschränkt verfügbare Handelsware, sondern ein wertvolles Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.
Neben sauberem Wasser brauchen Flora (=Pflanzen) und Fauna (=Tiere) auch das passende Umfeld, also den passenden Lebensraum. Dazu werden Maßnahmen entwickelt, um die Gewässer wieder in Richtung ihres natürlichen Zustands zu entwickeln.
Maßnahmen zur Strukturverbesserung
In gerade verlaufenden Gewässern mit steilen Ufern und den daraus resultierenden gleichen Fließgeschwindigkeiten finden nur wenige Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum.
Natürliche Gewässer weisen unterschiedliche Gewässertiefen auf, in denen verschiedene Wassertemperaturen herrschen. In den mit Pflanzen durchsetzten Flachwasserzonen ist die Fließgeschwindigkeit geringer und das Wasser erwärmt sich bei Sonneneinstrahlung schneller. Diese beruhigten Bereiche bieten Larven optimale Bedingungen, da sie nicht gegen starke Strömungen ankämpfen müssen und die mit Pflanzen durchsetzten Bereiche Versteckmöglichkeiten vor Fressfeinden bieten. Eine natürliche Sohle (=Gewässerboden) besteht aus Sand und Kies und wird stets mit frischem Wasser und Sauerstoff versorgt. Hier können Tiere Eier ablegen und die Larven sich geschützt entwickeln. Neben Fischen ist dieses angesprochene Kieslückensystem auch Kinderstube vieler Insekten, wie z.B. Libellen, Stein- und Köcherfliegen sowie Eintagsfliegen.
Pilotprojekt „Zweigkanal“
Wenn von Renaturierungs- oder Revitalisierungsmaßnahmen an Gewässern die Rede ist, hat man meist große Projekte vor Augen, für die hohe Geldbeträge aufgewendet werden müssen und viel Fläche gebraucht wird. In Zeiten knapper Kassen ist es daher umso wichtiger, die zur Verfügung stehenden Mittel effizient einzusetzen. Mit diesem Pilotprojekt hat der Wasser- und Bodenverband gezeigt, dass durch den Einsatz von eigenem Personal und Gerät Maßnahmen kostengünstig und zügig geplant und umgesetzt werden können und dass auch auf kleinem Raum effektive Maßnahmen möglich sind.
Zur Demonstration der möglichen Elemente einer Revitalisierung wurden bei diesem Pilotprojekt viele Bausteine auf kurzer Laufstrecke aneinandergereiht. Die Ufer wurden abgeflacht, das Gewässerbett aufgeweitet, ein Nebengerinne und ein Stillgewässerbereich angelegt, eine Steilwand initiiert.
Diese Maßnahme wurde auf einem 160 m langen und nur 10 m breiten Streifen durchgeführt. Dabei wurde nicht die gesamte Breite für die Umgestaltung genutzt. Ein etwa 5 m breiter Uferrandstreifen verblieb, der der natürlichen Entwicklung überlassen wurde. Es wurden bewusst keine Anpflanzungen vorgenommen, da dies Pionierarten benachteiligen würde und somit nur zu der einheitlich bekannten Ufervegetation führen würde. Da die angrenzende Fläche extensiv als Grünland genutzt wird, waren 5 m als Uferrandstreifen ausreichend.
Die Aufweitung des Gewässers erhöht das Speichervolumen und schützt somit angrenzende landwirtschaftliche Flächen vor Überflutung, was vor allem im Sommer beim Rückstau der Niers zum Tragen kommt.
Je nach Wasserstand werden verschiedene Bereiche überflutet und schaffen so ein Mosaik unterschiedlicher Lebensräume, wie beispielsweise Feuchtzonen, auf denen sich Schilf und Rohrkolben entwickeln können. Baumstämme als Strömungslenker leiten den Wasserfluss zu den Nebengerinnen ab, welche im Gegensatz zum Hauptgerinne langsamer fließen. Der Stillgewässerbereich wird bei höheren Wasserständen mit frischem Wasser versorgt. Steilwände sind für Eisvögel wichtig, da sie in diesen ihre Bruthöhlen bauen. Sich im Gewässer entwickelnde Sandbänke bieten Pionierarten eine Heimat, auf Inseln können Vögel geschützt ihre Jungen großziehen.
Entwicklung seit 2009
Seit 2009 wurde der renaturierte Abschnitt des Zweigkanals ohne weitere Unterhaltung seiner natürlichen Entwicklung überlassen. Der Bewuchs aus Bäumen und Sträuchern auf den abgeflachten Ufern ist durch Selbstaussaht entstanden. Inzwischen hat dieser Gehölzsaum bereits eine stattliche Höhe und Dichte erreicht. Daher wurden bereits Überlegungen aufgenommen, wie durch eine Unterhaltung der Fläche durch Rückschnitt die noch vorhandenen unterschiedlichen Lebensbereiche durch verschiedene Beschattung und Alter des Gehölzes auf Dauer erhalten werden können.
Schon kurze Zeit nach Realisierung der Maßnahme konnten Eisvögel bei der Jagd am Gewässer beobachtet werden, woraus zu schließen ist, dass sich in diesem Bereich vermehrt Fische aufhalten.
Die bei Umsetzung der Maßnahme noch vorhandene Pappelreihe zwischen Weg und Zweigkanal musste aus Verkehrssicherungsgründen inzwischen gefällt werden, wurde aber durch Neuanpflanzungen von standortangepassten Bäumen (Erlen und Weiden) ersetzt.
Weitere Planungen
Aufgrund des Erfolgs der Maßnahme sind weitere Planungen für den Mündungsbereich des Zweigkanals in die Niers sowie für den Bereich zwischen Mündung und dem im Rahmen des Pilotprojekts bereits renaturierten Bereichs in Planung.
Durch diese Maßnahmen kann aus dem künstlichen Zweigkanal in Zukunft zumindest ein naturnahes Gewässer entwickelt werden.